Moderne Kommunikation

Man mag es ja kaum glauben, doch es ist wahr: Ich bin ein Technologie-Enthusiast, besitze aber kein Smartphone – immer noch nicht. Viele Menschen können das nicht nachvollziehen. Diejenigen, die es können, meinen, sie würden doch lieber so wie im 18. Jahrhundert leben. Nur mit Papier. Ist meiner Meinung nach etwas zu extrem. Ich möchte hier noch einmal versuchen, meine Position etwas genauer zu erläutern. Insbesondere, was meine Anforderungen und Vorstellungen von moderner Kommunikation sind. Das geschieht vor dem Hintergrund, dass ich mir jetzt doch ein Smartphone bestellt habe. Zu letzterem wird es vielleicht mal etwas zu lesen geben, sobald ich es dann auch in Händen halten kann – so gibt es dann nicht nur Wünsche/Hoffnungen/Vorstelllungen sondern auch Erfahrungen/Enttäuschungen/Überraschungen.

Kommunikation

Der Sinn und Zweck von vielen Technologien, die sich um Information drehen, ist Kommunikation zu verbessern. Doch was genau versteht man unter „besserer“ Kommunikation? Die Aspekte, die einem sofort in den Sinn kommen:

  • viele Kanäle: Text, Bild, Ton
  • schnell und hohe Bandbreite
  • widerstandsfähig, fehlertolerant, ausfallsicher
  • ortsunabhängig
  • einfache Handhabung
  • hohe Übertragungsqualität
  • geringe Kosten

Diese Dinge sind mehr oder weniger selbsterklärend. Und ich stimme alledem zu. Mir ist auch bewusst, dass man bei einigen Kombinationen dieser Aspekte abwägen muss, was einem wichtiger ist. Denn man kann nicht die schnellsten Datenleitungen nutzen, ohne dafür zu zahlen. Das wäre unmoralisch. Mir sind jedoch noch andere Aspekte wichtig, an die viele andere Menschen nicht denken, wenn sie über „bessere“ Kommunikation nachdenken:

  • Vertraulichkeit
  • Unabhängigkeit der Plattform bzw. des Anbieters

Doch was meine ich damit?

Vertraulichkeit

Wenn ich mit jemandem kommunizieren möchte, muss es die Möglichkeit geben, dass wir einen Kanal finden, auf dem uns niemand zuhört. Und damit meine ich tatsächlich niemanden. Weder meine Eltern, Nachbarn, Freunde, Kollegen, noch Geheimdienste, Firmen, Polizisten, Journalisten, Cracker. Niemand. Nicht mein Betriebssystem-Hersteller (Microsoft, Apple, Google), nicht die Internetzugangsanbieter (Telekom, Vodafone, O2, 1&1), nicht die Diensteanbieter (Google, Facebook, Skype, Whatsapp, Twitter). Niemand. Ich will, dass solche Kanäle der Standard sind und nicht die Ausnahme. Die beiden Geschichten rund um Chelsea Manning und Edward Snowden haben gezeigt, dass diese Kanäle weder einfach zu bedienen, noch der Standard sind. Das muss sich ändern. Und ändern wird es sich nicht, wenn sich jeder mit den bestehenden Möglichkeiten, die diese Vertraulichkeit nicht sicherstellen können, zufrieden gibt. Ich will mehr. Mir ist einmal aufgefallen, dass der folgende Satz ziemlich gut beschreibt, wie ich diesbezüglich denke:

Wenn es für eine nennenswerte Minderheit nicht taugt, kann es für mich auch nicht taugen.

Wenn ihr mögt, dürft ihr mich dafür Zitieren. Denn eine richtige Quelle habe ich dafür tatsächlich nicht. Und wo wir gerade bei Quellen sind: Der einzig ehrliche Weg, genau diese Vertraulichkeit sicherzustellen, ist, eine Technologie zu benutzen, deren Grundlagen komplett offen liegen. So kann jeder, der das nötige Vorwissen hat, auch unabhängig bezeugen, dass diese sichergestellt ist.

Unabhähgigkeit

Wenn ich mit jemanden kommunizieren möchte, muss dies über verschiedene Geräte(klassen) möglich sein. Ich habe keine Lust eine Kommunikationsform zu wählen, die vollkommen willkürlich auf nur eine Geräteklasse – sagen wir Smartphone – beschränkt ist. Telefone sind etwas anderes: Die gibt es schon länger, als Computer. Von daher erwarte ich auch nicht, dass ich Computer anrufen kann. Aber wenn mir jemand eine neue Technologie bewirbt, die nach der Erfindung des Computers und des Internets, noch auf eine einzige Geräteklasse eingeschränkt ist, lache ich ihn aus. Vor allem dann, wenn diese Technologie intern über das Internet läuft. Der Grund warum diese Dienste häufig nur auf eine Geräteklasse beschränkt ist: Sie sind keine offenen Standards und werden von nur einem einzigen Unternehmen angeboten – das damit auch sein primäres Geschäftsmodell verfolgt. Und das geht besonders gut im eigens eingerichteten Garten. Dabei besteht meistens kein hinreichender ökonomischer Antrieb alle möglichen Anwendungsfälle tatsächlich zu unterstützen oder Minderheiten zu berücksichtigen. Selbst wenn die Technologie das prinzipiell kann. Ich will offene Standards. So wie SMS, HTTP, E-Mail, XMPP. Und ich verstehe nicht, warum andere Menschen sich mit weniger zufrieden geben. Es ist doch total bescheuert sich vollkommen von einem (wahrscheinlich noch richtig kleinen!) Unternehmen abhängig zu machen um eines der grundlegenden menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen: Kommunikation mit anderen. Was passiert, wenn es bankrott geht? Was, wenn es von einem größeren geschluckt wird oder sich später aufspaltet? Niemand kann versichern, dass alle ethisch/moralischen Beteuerungen die bisher gemacht wurden, in der neuen Konstellation immer noch genau so anerkannt werden.

Tendenzen

Mir ist klar, dass offene Standards langwierige Prozesse durchmachen müssen. Aber das müssen Gesetze in einer Demokratie im Regelfall auch. Und das hat auch so seine Berechtigung. So können viele Meinungen eingeholt werden, die etwas dazu zu sagen haben. Und mir ist auch klar, dass sich Freie Software nicht direkt monetarisieren lässt. Aber wollen wir denn überhaupt, dass unsere Kommunikation monetarisiert wird? Den Trend zu zentralisierten, monetarisierten Kommunikationsdiensten sehe ich auf jeden Fall. Und ich finde das nicht gut.

Warum gibt es keine funktionsfähige, offene Alternative zu Skype? Warum nutzen so viele Menschen Whatsapp, obwohl das im Prinzip nur auf Smartphones beschränkt ist? „Es ist so einfach!“ oder „Es ist kostenlos!“ lasse ich hier nicht gelten. Ersteres ist meistens nicht einmal wahr, zweiteres ist ziemlich naiv. „Du musst es ja nicht benutzen!“ lasse ich hier auch nicht wirklich gelten: Zur Kommunikation gehören immer zwei. Und wenn der eine sich komplett einer Form der Kommunikation verweigert, kommt es im schlimmsten Fall gar nicht mehr zur Kommunikation. Und das ist nicht der Sinn der Sache. Damit wäre das grundlegende Bedürfnis noch weniger befriedigt.

Mein Garten

Mein Garten ist schön. Mein Garten ist gemütlich. Mein Garten ist nicht dein Garten. Mein Garten ist ein Walled Garden.

Dieser Ausdruck wird häufig verwendet, um eine sehr verbreitete Unternehmensstrategie in der Technologiebranche zu umschreiben: Meine Produkte sind auf Prozesse angewiesen, die unter meiner Kontrolle stehen. Dies bezieht sich auf mindestens einen dieser Punkte: Software, Hardware, Dateiformate und Protokolle.

Software

Die Betriebssysteme und digitalen Marktplätze können entscheiden welche Programme und Inhalte ich nutzen und beziehen kann. Noch tiefer im System ist heutzutage sogar das UEFI – ein Ersatz für das angestaubte BIOS – teilweise in der Lage zu kontrollieren, welche Betriebssysteme ich installieren kann.

Hardware

Durch herstellerspezifische Anschlüsse wird sichergestellt, dass ich nur bestimmte, zertifizierte Geräte anschließen kann oder teure Adapter kaufen muss. Einige Geräte detektieren Ersatzteile (etwa Akkus oder Tinte) von Drittherstellern und verweigern die reibungslose Zusammenarbeit: Stromsparfunktionen werden abgeschaltet oder übermäßig Tinte verbraucht.

Dateiformate und Protokolle

Undokumentierte Dateiformate und Protokolle zwingen die Benutzung von bestimmter Software. Patentierte Dateiformate im Multimedia-Bereich erfordern eine Lizenzierung für die Implementierung in Hard- oder Software.

Kontrolle

In kontrollierten Umgebungen ist das Geschäftsmodell für Firmen deutlich klarer, als in einem offenen Ökosystem: Die Kunden sind auf dich angewiesen und müssen deine Produkte kaufen. Das Unternehmen muss sich auch nicht so viel um die Dokumentation kümmern. Es ist ja sowieso besser, wenn kein einzelner Mitarbeiter Wissen über das gesamte Produkt hat.

Weiterhin kann die reibungslose Funktion durch Tests und Zertifizierung sichergestellt werden. Sicherheit gegen Angriffe wird häufig als Argument gebracht – es wisse ja schließlich niemand, wie die Systeme intern arbeiten. Leider ist dieses Argument zahnlos: gerade verbreitete proprietäre Produkte sind das Ziel von Angriffen.

Für Software kann die Konsistenz von Aussehen und Benutzerführung erzwungen werden. Erfüllt ein Programm oder ein Inhalt die Anforderungen an Design oder Moralvorstellung nicht, ist dies einfach nicht verfügbar oder nutzbar. Bedauerlicherweise geht die Konsistenz verloren sobald man mit anderen Systemen interagieren muss.

Offenheit

Offene Software zeichnet sich durch den freigelegten Quellcode aus. So kann ein Experte die geforderte Funktionalität und Kompatibilität überprüfen, Fehler beheben und ungewollte Funktionen entfernen. Viele Endkunden wollen den Quellcode gar nicht sehen, doch das müssen sie auch nicht. Offen dokumentierte Hardware und Dateiformate bzw. Protokolle können von verschiedenen Implementierungen umgesetzt werden, die sich dann besser in ihre spezielle Zielumgebung einbetten.

Durch die freie Verfügbarkeit und Dokumentation (notfalls auch Quellcode) kann Konkurrenz die Innovationen fördern. Außerdem ist so sichergestellt, dass die Dateiformate auch in Zukunft noch lesbar und verwendbar sind – auch wenn der ursprüngliche Hersteller nicht mehr existiert oder das Produkt eingestellt hat.

Weiche Faktoren

Oft vergessen werden die weichen Faktoren: Ein geschlossenes System lässt die Nutzer nicht hinter die Mauern sehen. Bei Fragen und Empfehlungen kann ein Nutzer nur Information zu „seiner“ Plattform geben. Andererseits ist gleichzeitig ein Außenstehender nicht in der Lage in den Garten zu schauen. So ist ein Vendor Lock-In immer auch ein Lock-Out.

Freiheit?

Ich bin ein Befürworter offen dokumentierter Produkte und frei verfügbaren Quellcodes. Ich versuche Lösungen zu finden, die auf verschiedenen Plattformen lauffähig sind. Unglücklicherwiese ist das nie so gut umsetzbar, wie man das haben will. Den Effekt des Lock-Outs habe ich erst in den letzten paar Jahren richtig zu spüren bekommen – sowohl bei mir, als auch im Gespräch mit anderen Menschen. Wirklich frei ist so leider niemand. Wenn ihr mit Leuten aus anderen Ökosystemen redet, achtet mal darauf. Ihr werdet euch wundern wie gestört die Wahrnehmung ist. Jedem seine Blase!

Religiöser Eifer

Ein Artikel von bejonet hat mich mal wieder über meinen »religiösen Eifer« für freie Software nachdenken lassen. Ja ich sage das wirklich bewusst: religiös.

Religiös?

Das Gefühl, freie Software und deren Nutzung rechtfertigen zu müssen, das Benjamin sehr gut in seinem Artikel schreibt, kenne ich auch. Vor allem wenn ich mich selbst heute mit mir in der »Vor-Linux-Zeit« vergleiche. Einigen meiner Freunden gehe ich mittlerweile wirklich schon auf die Nerven mit meinem Linux-Quaksprech. Das gebe ich zu. Das Problem ist auch, dass man bei solch tiefen Überzeugungen oder Grundannahmen zum sogenannten Backfire-Effect neigt. Ja, du bist nicht so schlau, wie du manchmal denkst. Darum bringt es manchmal auch nichts, andere Menschen überzeugen zu wollen, oder sieht sich gezwungen, seine eigenen Überzeugungen verteidigen zu müssen. Darum vergleiche ich das mit Religion. Diese Referenz auf Religion ist in keiner Weise wertend gemeint.

Fakten!

Teilweise ist man auch verwundert darüber, was andere Menschen für Vorstellungen, Vorurteile oder Meinungen über bestimmte freie Software – oder gar freie Software an sich – haben. Fakten können helfen, aber Menschen, die z.B. Linux nie ausprobiert haben und dann meinen »es sei ja so nutzer-unfreundlich«, haben leider keine Ahnung, wovon sie reden. Ob die Aussage denn nun stimmt, oder nicht, sei dahingestellt.

Zum Glück (oder leider?) bin ich für eine bestimmte Anwendung noch auf Windows angewiesen – Treiberprobleme neuer Hardware sind der Grund. So habe ich eine gute Vergleichsmöglichkeit und ich kann sagen, dass ich von Windows 7 positiv überrascht war. Nicht, dass ich das mit meinen derzeitigen Gewohnheiten zum ernsthaften Arbeiten intensiv nutzen könnte. Dafür habe ich einige Bequemlichkeiten der Linux-Welt einfach zu sehr lieben gelernt und ganz ohne Probleme ist Win7 auch nicht.

Es gibt Fakten, die einen immer wieder in seinen Ansichten bestätigen. Diese findet man vor allem, wenn man sich in der Open-Source-Blase aufhält. Widersprechende Fakten findet man in dem Fall dann eher selten, würden mich persönlich aber wirklich mehr und mehr interessieren.

Gefängnisse

Was ich persönlich teilweise noch schlimmer finde, als proprietäre Software an sich, sind die ganzen damit assoziierten Gefängnisse. Aber dazu vielleicht demnächst mal mehr.

Also?

Meine derzeitige Schlussfolgerung ist niemandem irgendwas aufschwatzen zu wollen, was er eigentlich nicht haben will. Freie Software hin oder her. Mal schauen, wie lange ich das aushalte – ich muss mich wirklich zusammenreißen.

Trotzdem habe ich vor ein paar Wochen noch einen Sieg in dieser Richtung für mich verbuchen können: Der letzte Mensch, mit dem ich regelmäßig über ICQ gechattet habe, hat sich nun überreden lassen, parallel Jabber zu benutzen. Nun muss ich ICQ nicht mehr benutzen. Das entscheidende Argument war tatsächlich die AGB von ICQ, auf alle übertragenen Inhalte uneingeschränktes und exklusives Verwertungsrecht zu erheben. Aber offene Standards sind vielleicht nicht so einfach mit freier Software zu vergleichen.

Was ich definitiv weiterhin tun werde: Auf Nachfragen erklären, was denn da auf meinem Rechner läuft. Die Erkenntnis, dass Windows und OS X nicht die einzigen Optionen sind, muss irgendwann mal im Bewusstsein der breiten Bevölkerung ankommen.